studientag

l’italia e la capitale itinerante torino / firenze / roma

baugeschichte und denkmalpflege
19./20. juni 2015, 14.00 uhr, SR 6 (raum 119)
kossel, tragbar

Wie wohl kein zweiter Staat hat das moderne Italien seit seiner Gründung 1861 mehr Hauptstädte gehabt als andere Länder im euro-päischen und internationalen Vergleich. Als Residenz der Savoy-er, den Königen von Sardinien-Piemont, die während des Risorgi-mento Mitte des 19. Jahrhunderts als letztes italienisches Herr-schergeschlecht auf der ansonsten von fremden Mächten dominier-ten Apenninhalbinsel den italienischen Königstitel beanspruch-ten, wurde zunächst folgerichtig Turin die Hauptstadt des neuen Königreichs Italien. Die Residenzstadt erfuhr im Zuge der Haupt-stadtwerdung bedeutende Aus- und Umbauten wie etwa die Erweite-rung der Stadt, den Umbau des Palazzo Carignano zum Sitz des ersten italienischen Parlamentes – das jedoch auf Grund des Um-zugs nach Florenz dort nie tagen sollte – und den Bau des reprä-sentativen Bahnhofs Stazione Porta Nuova, der als neues »Ein-gangstor« den Besucher über die heutige Via Roma ins Zentrum der Stadt führt. Mit diesen städtebaulichen Maßnahmen sollte dem oh-nehin schon glanzvollen Turin nicht nur ein hauptstädtisches Ge-präge verliehen, sondern die Stadt auch den verkehrstechnischen und urbanen Erfordernissen einer modernen europäischen Metropole angepasst werden.
Das Abkommen von 1864 zwischen Paris und dem jungen Königreich Italien über den Abzug der französischen Schutztruppen aus dem Kirchenstaat regelte in einem geheimen Zusatzprotokoll auf fran-zösischen Druck die Hauptstadtfrage neu. Der Abzug war an die Bedingung geknüpft, dass eine andere italienische Stadt Turin als Hauptstadt ablösen müsse. Da Rom als ersehnte, mythische Ka-pitale durch die Präsenz des Papstes und der französischen Trup-pen noch außer Reichweite lag, musste als »provisorische Haupt-stadt« eine Alternative gefunden werden. Auf Grund von strategi-schen und geographischen Erwägungen fiel 1865 die Wahl Vittorio Emanuele II. auf Florenz. Unter der Herrschaft der Großherzöge der Toskana aus dem Haus Habsburg-Lothringen hatte Florenz als Residenzstadt nur wenige städtebauliche Eingriffe erfahren, so dass sich die Stadt, fester Programmpunkt aller Italienreisenden im 19. Jahrhundert, 1865 noch mit ihrem intakten Mauerring prä-sentierte. Das Bild der Renaissancestadt Florenz, das durch vie-le Gemälde und Photographien weite Verbreitung gefunden hatte, änderte sich unter der Ägide des Architekten und Stadtplaners Giuseppe Poggi von nun an grundlegend. Die nach ihrer Größe und Einwohnerzahl recht provinzielle neue Hauptstadt wurde umfang-reichen Erweiterungsplanungen unterzogen. Nach dem Vorbild von Wien wurden die Stadtmauern abgetragen und eine Ringstraße ange-legt. In diese »Viali« integrierte Poggi mit den erhaltenen Stadttoren nicht nur etliche »Traditionsinseln«, sondern schuf große Schmuck- und Verkehrsplätze sowie Aussichtspunkte, die mit der »Viale dei Colli« und der »Piazzale Michelangelo« ihren Hö-hepunkt erfuhren. Die städtebauliche Aufmerksamkeit richtete sich aber auch auf den »risanamento«, besser Abriss eines ganzen Viertels im alten Zentrum, wo mit der neuen »Piazza Vittorio Emanuele II«, der heutigen »Piazza della Repubblica« ein groß-bürgerlicher Repräsentationsraum entstand. Dem Charakter einer provisorischen Hauptstadt entsprechend, wurden keinerlei Gebäude für Regierung oder Verwaltung entlang der neuen Ringstraße er-baut, wie es etwa das Wiener Vorbild nahegelegt hätte, sondern die Hauptstadtfunktionen fast ohne Ausnahme in bereits bestehen-de Gebäude integriert. So fanden Senat, Abgeordnetenhaus und das Außenministerium ihren Platz im Palazzo Vecchio, und der König bezog als Residenz den Palazzo Pitti, wo der jüngste Flügel, die »Palazzina della Meridiana« (1776–1813) nochmals einigen Verän-derungen unterzogen wurde. Erst der deutsch-französische Krieg, der zum endgültigen Abzug der französischen Schutzmacht aus Ita-lien führte, ermöglichte es schließlich den italienischen Trup-pen, Rom einzunehmen und 1871 zur Hauptstadt auszurufen, wodurch Florenz, wie zuvor schon Turin, einen Statusverlust erlitt und zusätzlich in eine wirtschaftliche Krise stürzte.
In Rom schließlich löste die Umgestaltung zur endgültigen »Capi-tale d’Italia« einen beispiellosen von Spekulationen begleiteten Bauboom aus, der nicht nur Regierungs-, Verwaltungs- und Wohn-bauten betraf, sondern auch einen bewussten Bezug zum antiken baulichen Erbe herstellte und eine deutliche Abgrenzung zu den päpstlichen Projekten vollzog. So griff das liberale Italien die Planungen zur Neugestaltung der »Piazza Esedra«, der heutigen »Piazza della Repubblica« wieder auf. Gaetano Koch schuf als Entrée für die »Via Nazionale« halbrunde Platzwände, die die mo-numentale Exedra der Diokletiansthermen nachzeichnen und sinn-bildlich den neuen Staat auf den Fundamenten der Antike gründen. Der Bezug auf das antike Erbe zur Behauptung von »romanità« und »italianità« sollte während des faschistischen Regimes ab 1922 noch umfangreicher zum Tragen kommen.

Der Arbeitsbereich Baugeschichte und Denkmalpflege bg+d der Leo-pold-Franzens-Universität Innsbruck nimmt das 150jährige Jubilä-um der Hauptstadtwerdung von Florenz zum Anlass, diesen einzig-artigen Vorgang einer »wandernden Hauptstadt« in einem zweitägi-gen Studientag am 19. und 20. Juni 2015 zu thematisieren. Wie wurden »italianità« und Internationalität städtebaulich und ar-chitektonisch jeweils artikuliert? Wie wurden die bereits vor-handenen Monumente und damit die Geschichte von Turin, Florenz und Rom als Narrative für die nationale Einigung genutzt, insze-niert und instrumentalisiert? Welche städtebaulichen Strategien lassen sich konkret fassen und wie ist diese »wandernde Haupt-stadt« des »Regno d’Italia« im internationalen Vergleich zu be-werten? Die Referate können jeweils die gesamte Stadtgestalt in den Fokus nehmen oder auch die Thematik anhand von Einzelmonu-menten oder Ensembles vertiefen.

Der Studientag ist öffentlich, keine Anmeldung erforderlich.
Kontakt: elmar.kossel@uibk.ac.at

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