Karte von Tirol und Vorarlberg, um 1870

© Sammlung Historische Landkarten, Vorarlberger Landesbibliothek

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neue mächte, alte länder

breser, kossel, tragbar, wolf

5.-7. november 2020, sr 6

Der Arbeitsbereich Baugeschichte und Denkmalpflege (bg+d) an der Universität Innsbruck veranstaltet im Rahmen seines seit 2018 durchgeführten und von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Forschungsprojekts »Die Appropriationsstrategien Italiens in Südtirol und dem Trentino nach dem Ersten Weltkrieg« einen Studientag, auf dem erste Forschungsergebnisse vorgestellt und in einer erweiterten Perspektive im europäischen Kontext diskutiert werden sollen.

Der Fokus des Projekts liegt auf den staatlichen Baumaßnahmen, die flächendeckend, aber mit unterschiedlicher Intensität und Gewichtung in den ehemals habsburgischen Gebieten Trentino und Südtirol/Alto Adige geplant und realisiert wurden. Dem Planen und Bauen kamen bei dem forcierten Italianisierungsprozess eine Schlüsselrolle zu, bei dem Topoi wie ›italianità‹ und ›modernità‹ die neuen kulturpolitischen Referenzpunkte bildeten, die jedoch im überwiegend italienischsprachigen Trentino anders zur Anwendung gebracht wurden als im überwiegend deutschsprachigen Südtirol. Bislang wurden diese unterschiedlichen Appropriationsstrategien in der Forschung noch nicht mittels eines Vergleichs der beiden neuerworbenen Gebiete erarbeitet. Dieses Desiderat bildet einen der Ausgangspunkte unseres Forschungsprojekts. Die unterschiedlichen Appropriationsstrategien bildeten modellhaft Leitmotive und Topoi aus, die im Falle des Trentino ab den späten 1920er Jahren vorbildlich für das Planen und Bauen auf der italienischen Halbinsel wurden. Im Falle Südtirols wurde ein rassisch-ethnisch motivierter Städtebau etabliert, der für die Eroberung der Kolonien von Mussolinis ›Impero‹ maßgeblich wurde.

Ausgehend von den Schwerpunkten des Projekts möchten wir den Blick auf andere europäische Grenzregionen der Zwischenkriegszeit richten, die ebenfalls einem Wechsel der Nationalität unterworfen waren und fragen, welche räumlichen Strategien der Aneignung dort praktiziert wurden. Mögliche Themenschwerpunkte, die andere Perspektiven und Betrachtungsweisen nicht ausschließen sollen, sind:

Fragen nach 1.) Akteuren und Netzwerken, die entweder das Baugeschehen in einem Gebiet prägten, das von einem neuen Staat übernommen wurde oder aber von den neuen politischen Gegebenheiten aus ihren angestammten Positionen verdrängt wurden. Der Fokus kann dabei sowohl auf Einzelbeispielen liegen als auch auf Netzwerkstrukturen und Gruppen, die sich in diesem Spannungsfeld positionierten. Innerhalb der politischen Umbruchprozesse entwickelten sich 2.) »Kontinuitäten und Zäsuren, die sich angesichts der gebauten Realität freilich als Konstrukt der Architektur- und Kunstgeschichtsschreibung erweisen können oder auch als Resultat des politischen Willens politischer Mächte. Fragen nach Motiven für Übernahmen aus den Verwaltungsstrukturen der alten Systeme können dabei ebenso berücksichtigt werden wie auch politische, ›stilistische‹ und personelle Zäsuren und deren unmittelbare Auswirkungen auf das Baugeschehen und die Rezeption. Dieses Spannungsfeld lässt sich nicht ohne einen vertiefenden Blick auf 3.) Ethik und Normen betrachten. Der Horizont kann dabei von der moralischen Verantwortung des Einzelnen als handelnder Architekt in einem totalitären System reichen, bis hin zu Fragen nach den normativen und ideologischen Vorgaben des Staates und inwieweit diese Strukturen Handlungsspielräume und die Möglichkeit zur Anpassung boten. 4.) Bildstrategien und Medien sind für Diktaturen ein unabdingbares Handwerkszeug, um im Selbstentwurf das Idealbild ihrer staatlichen Ordnung zu behaupten. Diese Präformation von (gebauter) Wirklichkeit im Bild und in den Köpfen der Rezipienten – über das staatliche Kulturangebot und die Alltagsmedien gleichermaßen - ist in der Lage Wirklichkeit in ganz entscheidendem Maß zu verändern. Für diesen Zusammenhang spielt der Themenkomplex 5.) Mythen und konstruiertes Erbe eine entscheidende Rolle, da aus dem Material, das die Vergangenheit bereithält, neue Narrative für die politische Gegenwart erschaffen werden können. Umdeutung oder im Gegenteil Verdrängung von Mythen sollen hier ebenso eine Rolle spielen, wie auch eine ›invention of tradition‹ und die Möglichkeiten ihrer Realisierung in der gebauten Umwelt.

Bis zum 29. Mai 2020 erbitten wir ein aussagekräftiges Abstract (max. 900 Zeichen mit Leerzeichen) und ein CV. Text und Vortrag können in einer der Tagungssprachen Deutsch, Italienisch oder Englisch abgefasst werden. Die Zusage zur Tagungsteilnahme erfolgt bis zum 26. Juni 2020. Reisekosten (Bahnfahrt 2. Klasse) und die Übernachtungen in Innsbruck werden übernommen. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.

Kontakt:

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Klaus Tragbar

Dr. Elmar Kossel

Universität Innsbruck
Institut für Architekturtheorie und Baugeschichte
Arbeitsbereich Baugeschichte und Denkmalpflege
Technikerstraße 21
6020 Innsbruck (Österreich)

F  +43 512 507.640.10 (DW, Sekretariat .11)
klaus.tragbar@uibk.ac.at

elmar.kossel@uibk.ac.at

W www.baugeschichte.eu