Astley Castle, Warwickshire (United Kingdom)

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SuperRuins

 

florina pop

7./8. juli 2022

SuperRuins: Dialoge zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

 

Ruinen sind faszinierende Erscheinungen. Ruinen sind lebendig. Ruinen können Superkräfte bekommen.

 

Gemäß der vitruvianischen Definition entsteht Architektur aus dem Gleichgewicht von drei Eigenschaften: firmitas, utilitas und venustas. Wenn dieser Dreiklang aus dem Gleichgewicht gerät, geht die Integrität eines Gebäudes verloren und die Architektur wird zur Ruine. »Aber als Ruine ist Architektur mehr, nicht weniger« (Hill 2019). Nach Louis Kahn hat sich ein Gebäude im Zustand der Ruine vom Zwang der Funktion befreit. Dabei verweist die Ruine auf ein anderes mögliches Leben des Gebäudes, das auf das ursprüngliche folgt. Als Ruine gewinnt die Architektur eine eigene utilitas, die ihrem Wesen als Gebäude innewohnt (Biraghi 2021). Mit dem Versuch, die Ruine in eine nächste Architektur umzuwandeln, um ein mögliches neues Leben zu verwirklichen, kann die Ruine eine neue Existenz super ihrer vorherigen erreichen – super etymologisch verstanden als ‘über und jenseits‘.

 

Der Verlust der Integrität eines Gebäudes beeinträchtigt nicht seine Fähigkeit, Emotionen hervorzurufen; diese sind nur anders als die, die ursprünglich ausgelöst wurden. Die Ausstrahlung, die Architektur im Laufe der Zeit gewinnt, ist das, was Francesco Venezia die poetische Natur der Architektur nennt (Venezia 2010). Architektur existiert in der Zeit und wandelt sich im Laufe der Zeit. Ihre Langlebigkeit hängt vor allem von ihrer Fähigkeit ab, sich an die jeweilige Gegenwart anzupassen, ohne dass ihr Charakter beeinträchtigt wird. Ruinen gehören sowohl dem Raum als auch den Zeitläuften an.

 

Krisenmomente in der Geschichte hatten eine zentrale Bedeutung, wenn es darum ging, etablierte Dogmen und Methoden in Frage zu stellen und sie an die Erfordernisse ihrer Zeit anzupassen. So hat die Nachkriegszeit unter ‚Restaurierung‘ etwas anderes verstanden als das 19. Jahrhundert: Die Idee der kritischen Restaurierung wurde erstmals 1944 von Roberto Pane formuliert. Cesare Brandis Theorie der Restaurierung (1963) war von entscheidender Bedeutung für die Definition einer Reihe von Grundsätzen bei der Restaurierung von kriegsbeschädigten Kunstwerken. Renato Bonelli entwickelte diese Ideen zu einem kritisch-kreativen Ansatz weiter, der das Alte und das Neue zu einer neuen Einheit verschmelzen sollte. Ähnliche Ansätze fanden sich in der Praxis beim Umgang mit kriegszerstörten Architekturen, wie etwa bei den Eingriffen von Liliana Grassi in die Ca' Granda in Mailand (1949-1957) und von Hans Döllgast in die Alte Pinakothek in München (1952-1957). Grassi und Döllgast betonten sowohl die kritischen als auch die kreativen Aspekte ihrer Eingriffe (recupero critico-creativo und ‚schöpferischer Wiederaufbau‘) und erinnerten damit an Bonellis Ideen. Dennoch blieben diese Ansätze im internationalen Diskurs eher unbeachtet.

 

Heute befinden wir uns erneut in einer Krise. Einerseits scheint dank der fortgeschrittenen Technologie alles möglich zu sein, andererseits werden die Folgen der Technik zunehmend in Frage gestellt. Auch der Begriff ‚Restaurierung‘ hat an Ansehen und Popularität verloren, da er in der architektonischen Kultur Westeuropas mit mangelnder Authentizität assoziiert wird.

 

Vor einem Jahrzehnt verkündete Marco Ermentini den Tod der Restaurierung. Er vertrat die Ansicht, dass die einzige Restaurierungstheorie, zu der man sich heute bekennen kann, das Ende der Restaurierungstheorien ist. Ihm zufolge macht die Restaurierung, so wie sie in den fast zwei Jahrhunderten ihres Bestehens konzipiert und entwickelt wurde, keinen Sinn mehr. Stattdessen plädiert er für einen zurückhaltenden, konservativen Ansatz (Ermentini 2007). Giovanni Carbonara behauptet stattdessen, dass die Restaurierung nicht oder nicht nur Konservierung ist, sondern dass ihr Ziel sowohl konservativ als auch offenbarend ist und zum besseren Verständnis des Werkes beiträgt. Er schlägt einen dritten Weg vor, einen Mittelweg zwischen Restaurierung und Konservierung, in dem das Neue kühn aber zurückhaltend seinen Platz findet (Carbonara 2011).

 

Die Tagung hat das Ziel, anhand von Fallstudien theoretische Perspektiven und Ansätze aus der Praxis rund um Eingriffe an Ruinen zu diskutieren. Die Beiträge können folgende Fragestellungen aufgreifen, sind aber nicht darauf beschränkt:

 

Wie kann man die Ruine in die Gegenwart integrieren und gleichzeitig einen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellen?

Wie kann man im Sinne der Kontinuität in den Bestand eingreifen?

Wie kann man die Zukunft der Ruine durch den zeitgenössischen Eingriff offenlassen?

Kann die Angemessenheit der Mittel (economy of means) als ein Kriterium für den Eingriff angesehen werden?

 

Die Tagung findet am 7./8. Juli 2022 am Arbeitsbereich Baugeschichte und Denkmalpflege der Universität Innsbruck statt.

 

Bitte senden Sie Vorschläge (max. 400 Wörter) und ein kurzes CV (100 Wörter) für einen 20-minütigen Vortrag in Englisch, Deutsch oder Italienisch bis zum 24. April 2022 an: florina.pop@uibk.ac.at

 

Hotel- und Reisekosten (Bahnfahrt 2. Klasse, Economy Flug) werden übernommen.

 

Es ist beabsichtigt, die Tagungsbeiträge zu publizieren.

 

 

Biraghi 2021 – Biraghi, Marco: Questa è architettura. Il progetto come filosofia della prassi. Torino 2021

Carbonara 2011 – Carbonara, Giovanni: Architettura d’oggi e restauro. Un confronto antico-nuovo. Torino 2011

Ermentini 2007 – Ermentini, Marco: Restauro timido. Architettura, affetto, gioco. Firenze 2007

Hill 20019 – Hill, Jonathan: The Architecture of Ruins. Designs on the Past, Present and Future. London & New York 2019

Venezia 2010 – Venezia, Francesco: La natura poetica dell’architettura / The poetic nature of architecture. Pordenone 2010