Architektur ohne Geschichte ist so undenkbar wie kulturelle Identität ohne Erinnerung.

Architektur entsteht immer in einer konkreten historischen und kulturellen Situation; sie spiegelt die architektonischen Vorstellungen und Möglichkeiten dieser Situation wider und bewahrt diese als ein noch in späteren Zeiten lesbares Dokument.

Die Baugeschichte macht mit historischer Architektur und ihrem kulturellen Kontext vertraut. Dabei werden architekturgeschichtliche, ideengeschichtliche sowie konstruktionsgeschichtliche Fragestellungen und deren vielfältige Verflechtungen behandelt. Durch die präzise Betrachtung und Analyse historischer Architektur und ihres Kontext formuliert die Baugeschichte Fragen, die den komplexen Rahmenbedingungen der eigentlichen Gestaltbildung nachgehen: Fragen nach dem politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Umfeld von Architektur, nach Urheberschaft und ideologischer Begründung des Entwurfs, nach der Bedeutung einer Form und nach dem Wandel dieser Bedeutung im historischen Prozess, nach den materiellen und bautechnischen Ressourcen – Baugeschichte ist damit immer auch Entwurfsgeschichte.

Darüber hinaus vermittelt die Baugeschichte dem Architekten einen Einblick in die Geschichte seines Berufes und dient ihm als Korrektiv für die Bestimmung seiner eigenen Position in der Gesellschaft. Die Auseinandersetzung mit der Baugeschichte stellt daher eine wichtige und notwendige Etappe auf dem Weg zu einer begründeten, reflektierten Entwurfshaltung dar.

Die Baugeschichte behandelt die historische Architektur aus der Sicht des Architekten, der in seiner Ausbildung selbst Entwerfen, Planen und Konstruieren gelernt hat; ergänzend dazu vermittelt die Denkmalpflege sowohl die gedanklichen Grundlagen als auch das methodische Rüstzeug zum Umgang mit dem baulichen Erbe. Mit benachbarten Disziplinen wie Kunstgeschichte, Archäologie und Bauingenieurwesen gibt es vielfältige Querverbindungen und Überschneidungen. Im Zentrum der Baugeschichte aber steht die Historische Bauforschung, die das Bauwerk als Quelle betrachtet – niemals isoliert, sondern immer in seinem kulturgeschichtlichen Kontext.  

 

 

Die Lehre der Baugeschichte wird differenziert angeboten und ist vielfach eng mit den Forschungsprojekten des Arbeitsbereichs verknüpft. In den Vorlesungen werden ein Überblick über die Baugeschichte vermittelt und ausgewählte Sondergebiete behandelt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den für eine Epoche charakteristischen Bautypologien und -ideen, weniger auf Detail- oder Faktenwissen. In den Seminaren setzen sich die Studenten vertieft mit bau- und stadtbaugeschichtlichen, ideengeschichtlichen und konstruktionsgeschichtlichen Themen auseinander. In der Übung Bauaufnahme lernen die Studenten durch die systematische zeichnerische Erfassung eines ausgewählten historischen Gebäudes unmittelbar vor Ort, sich dessen räumliche und konstruktive Eigenheiten zu erschließen und den Entwurf zu verstehen. Die Bauaufnahme schult den Blick für den Bau und seinen Ort, für Proportionen und Maßstäbe, für Materialität und Konstruktion und ist wesentlich für die Entwicklung des Verständnisses von Architektur.

Im Entwurf werden das analytische Potential der Baugeschichte und ihre typologische Vielfalt zur Gestaltfindung genutzt. Ziel ist es, sich diesen Fundus als Inspirationsquelle für die eigene kreative und primär intuitive Arbeitsweise nutzbar zu machen, kritisch zu ergänzen und ein lebendiges Kontinuum zwischen Vergangenheit und Zukunft zu entwickeln. Die Entwurfsaufgaben setzen sich primär mit dem Bauen im Bestand und der Revitalisierung historischer Bausubstanz auseinander.

Im Forschungsinstitut Archiv für Baukunst werden Dokumente zur Architektur und zum Ingenieurbau mit Schwerpunkt im zentralen Alpenraum gesammelt und wissenschaftlich bearbeitet.